Friday, October 12, 2007

Exklusiv André Lima: „Ich hoffe, dass bald die Herthaner stolz auf mich sein können"

Sandra Gomes (Deustche Korrektur von Christian Menzel)

Der André, der mir das Interview auf dem Weg zur Umkleidekabine gibt, sieht anders aus als André Lima der Stürmer, der vor ein paar Minuten während des Trainings bei Hertha noch etwas traurig wirkte.

Seine Körpersprache zeugte von einer gewissen Traurigkeit, die später während des Interviews völlig verschwunden war. Vor der Umkleidekabine treffe ich einen selbstbewussten, lächelnden und motivierten André, der bereit ist, über vieles offen zu reden: seine Anpassungsschwierigkeiten auf und außerhalb des Platzes, sein Verhältnis zu seinen Kollegen, über die Stadt, den Trainer sowie seine Enttäuschung über sich selbst, weil er es bis jetzt noch nicht richtig schaffte, die Herthafans so zu begeistern, wie bis vor kurzem noch die Fans Botafogos. Aber er wirkt zuversichtlich: Seine gute Leistung wird sicherlich bald zurückkommen.


André ist religiös, ein eher häuslicher Typ. Gute Freundschaften sind für ihn das Wichtigste. Lucios Verletzung hat ihn tief getroffen. Er ist sein bester Kumpel in Berlin, mit dem er bis zur Ankunft seiner Familie die meiste Zeit verbracht hat. André besucht Lucio fast täglich. Er macht sich Sorgen, wie sich seine Frau und Tochter wohl zu Recht finden werden. Neben der Eingewöhnung bei Hertha musste er sich auch noch die Grundkenntnisse der deutschen Sprache aneignen, sich an den neuen Fussballstil gewöhnen, eine Wohnung suchen und diese einrichten. Er musste die Stadt und das Land kennen lernen, die deutsche Bürokratie sowie die "Do-it-yourself“-Mentalität der Deutschen.

Die jugendliche Lust und der Torschütze André, die bei Botafogo zu sehen waren, sei noch da, verspricht er und, dass er sein Bestes geben werde um Hertha zu vielen siegreichen Spielen zu führen. Er bittet Fans und Kritiker aber um ein wenig Geduld. Es ist offensichtlich, dass der 22-Jährige, der für 3,5 Millionen Euro eingekauft wurde, unter enormem Druck steht.

Seine eigene Kritik richtet sich auch an die Presse, die ihn nicht immer fair behandelt habe. Viele Reporter umschrieben in eigenen Worten, was er gesagt habe und am Ende stehe eine Geschichte, die nicht mehr das wiedergebe, was er sagen wollte. Manchmal habe er den Eindruck, dass vergessen werde, dass Fussballspieler auch noch Menschen seien.

Ich habe gestern ein paar der Kritiken, auch im Forum von Hertha online gelesen. Es gibt einige, die Dich verstehen und unterstützen. Andere kritisieren Dich. Wie gehst du damit um?

Auch ich bin nicht zufrieden mit mir, da ich weiss, welche Leistung ich in Brasilien gezeigt habe. Die Erwartungen - auch von mir - sind sehr hoch. Man muss aber auch verstehen, dass es ein paar Gründe gibt, warum ich hier nicht genau so wie in Brasilien spielen kann.

Zum Beispiel das kalte Wetter?

Das kalte Wetter ist nicht so schlimm. Es ist vielmehr die Art zu spielen. Es ist für mich ein ganz neuer Stil, den ich hier spiele, total anders als das, was ich bis jetzt in Brasilien gespielt habe. Wer hier ähnlich spielt, ist Pantelic. Ich muss ihm hier helfen und er mir auch.

Du meinst Deinen Platz auf dem Feld?

Ja, die neue Position ist für mich schwer. Ich muss mich sehr anpassen, um den Anforderungen meines Trainers gerecht werden zu können. Ich bin mir sicher, ich kriege das noch hin. Bitte nur noch ein wenig Geduld.



Der Trainer ist aber nett zu dir?

Sehr sogar! Und er unterstützt mich dabei, obwohl es für ihn auch sehr anstrengend sein muss. Abwehr ist nicht meine Stärke, auch nicht, Torchancen vorzubereiten, statt selbst Tore zu schießen, wie ich es bei Botafogo gemacht habe.
Obwohl ich die deutsche Sprache kaum kenne, verstehe ich viel von dem, was man derzeit über mich erzählt. Es ist nicht einfach zu lesen, dass sich mein Einkauf für Hertha nicht gelohnt habe und der Preis viel zu hoch gewesen sei. Auch wenn meine Frau und meine Tochter hier sind, so habe ich noch meine Eltern und den Rest meiner Familie in Brasilien, die das dann auch lesen. Dies macht mich traurig.

Findest du die Deutsche Presse „härter“ als die Brasilianische Presse?

Ich denke nicht, dass sie „härter” ist. Ich habe aber manchmal den Eindruck, dass sie Sachen schreiben, ohne über die Konsequenzen nachzudenken, z.B. dass ich eine 2-jährige Tochter habe und eine schwangere Frau. Ich kann zwar nicht alle Texte verstehen, es gibt aber genug Techniken im Internet, um sich Inhalte übersetzen zu lassen. Ich finde es schade, dass man mich nicht mehr so sieht, wie ich hier angekommen: lächelnd.

Ich habe bemerkt, dass du ein wenig traurig aussahst.

Klar, ich habe mehr Verständnis erwartet, dass ein Monat nicht ausreicht, sich an alles zu gewöhnen. Meine Frau und ich haben uns noch nicht vollständig an die Zeitumstellung gewöhnt. Meine Tochter schläft erst um 3 Uhr früh ein. Wir haben noch nicht den richtigen Rhythmus gefunden, ich bekomme noch nicht genug Schlaf.

Und es belastet Dich, dass dies nicht verstanden wird, oder?

Ja, es drückt auf meine Motivation. Da ich aber sehr gläubig bin, bin ich zuversichtlich, dass mir Gott wieder Kraft geben wird, um auf dem Niveau anzukommen, mit dem ich Botafogo verlassen habe. Ich will nichts beweisen, aber es ist nur fair, hier wieder so fit zu werden, wie ich es in Brasilien war.
Für alles gibt es den richtigen Zeitpunkt und ich bin hier erst seit einem Monat. Ich brauche noch Zeit, mich an den Fussball hier zu gewöhnen. Die Deutschen spielen sehr schnell mit vielen Ballkontakten. Wer den brasilianischen Fussball kennt, der weiss, dass es dort anders ist.

Und was ist mit Gilberto, Mineiro, Lúcio, der gerade verletzt ist...

Zu all dem kam auch noch die Verletzung von Lucio, mit dem ich sehr befreundet bin. Bevor meine Frau und Tochter eintrafen, waren wir 24 Stunden am Tag zusammen. Seine Verletzung hat auch mich sehr getroffen. Seine Behandlung kann noch Monate dauern. Dies ist aber nun mal das Risiko eines Fussballers. Ansonsten geht es ihm relativ gut und wir versuchen uns täglich zu sehen. Er war der erste, der mir hier geholfen hat.

Aber Gilberto und Mineiro hatten auch diese Anfangsprobleme erlebt. Hast du mit ihnen geredet?

Mit Gilberto habe ich kaum private Kontakte. Mit Mineiro telefoniere ich oft. Er hat mir auch gesagt, dass dies normal sei und er das alles auch erlebt habe. Sogar der Dieter (Hoeness, Herthas Manager) baut mich auf, dass ich es in ein, zwei Monaten schon hinkriegen würde. Die Leute wollen immer sofort Ergebnisse sehen. Leider ist es ja beim Fussball auch oft so: Du bist eingekauft, du musst Ergebnisse zeigen. Besonders bei einem derart hohen Preis wie bei mir.


Und das vielleicht auch, weil du jetzt der vierte Brasilianer bist...

Sicherlich ist die Erwartung an Ausländer höher, es wird ja auch mehr bezahlt. Momentan ist es schwer, da alle enttäuscht sind, auch ich selbst. Ich weiss ja von Botafogo am Besten, was ich für eine Mannschaft leisten kann. Aber es ist nur eine Frage der Zeit. Wer von Fussball eine Ahnung hat, der kennt die Anfangsschwierigkeiten und unterstützt mich. Ich muss ja gleichzeitig auch noch in meiner freien Zeit eine Wohnung und Möbel suchen und umziehen.

Weiss man bei Hertha von Deinen Alltagsproblemen? Kann man Dir von dort aus nicht helfen? Was ist mit Alcyr Pereira, der Gilberto anfangs auch viel geholfen hat? Machst du alles allein? Einkaufen auch?

Pereira hat seine eigenen Aufgaben. Er arbeitet für Hertha, man kann ihn nicht wegen jeder Kleinigkeit belästigen. In den Supermarkt gehe ich allein! Ab und zu hilft mir ein brasilianischer Fan, der Mauricio, der hier über 20 Jahre lebt. Er war mit mir in ein paar Möbelgeschäften. Es gibt auch Christian, einen Freund von Mineiro. Er hat mir z.B. heute Morgen um 7 Uhr früh bei einer Möbellieferung geholfen.

Naja, hier ist doch alles anders als in Brasilien, du muss fast alles allein erledigen?

Genau. Dort war es ganz anders. Es scheint zunächst vielleicht nicht so, aber am Ende ist man von vielen Kleinigkeiten überfordert. Ich kann nur die Fans, die Kritiker und diejenigen, die mich unterstützen bitten, ein bisschen mehr Geduld zu haben. Irgendwann, wenn ich das erstes Tor geschossen habe, dann wird eins nach dem anderen kommen. Ich werde den Fussball spielen, den Ihr von mir aus Brasilien erwartet.

Du kannst dich heute um 18 Uhr im Hertha-Chat mit den Fans unterhalten. Erwartest du, dass man Dir die Chance lässt, auszureden?

Ja, ich hoffe das sehr. Ich spreche kein Deutsch und mit einem Dolmetscher ist es immer schwerer. Manchmal übersetzt in einem Interview der Dolmetscher nicht korrekt und so kann dann auch meine Antwort nicht mehr richtig verstanden werden. Dies ist mir sehr unangenehm. Deswegen werde ich mir große Mühe geben, schnell Deutsch zu lernen. Die Sprache ist aber nicht einfach.



Sprichst du Englisch?

Ein wenig. Ich hoffe, dieses Interview trägt ein bisschen dazu bei, dass die Leute auch meine Seite besser verstehen können. Ich bin auch nur ein Mensch, ich habe Familie. Ich habe sogar mit unserem Chef des PR-Bereichs über die Presse geredet. Es gab eine Zeitung, ich will ihren Namen nicht sagen, die vor zwei Tagen über die „Lima Katastrophe“ geschrieben hat.
Diese Leute verstehen nicht, was sie berichten. Sie wollen nur Zeitungen verkaufen und vergessen, dass man auch eine Familie hat. Für mich ist das o.k., ich kann damit leben. Ich höre es und vergesse es wieder, aber meine schwangere Frau, meine kleine Tochter, meine Eltern, sie verstehen es nicht, es bleibt in ihrem Kopf, es ist schwer.
Leute, die Fussball kennen und spielen wissen, dass ein Monat zu wenig ist, um Ergebnisse zu bringen. Ich habe einen Vierjahresvertrag und will mein Leben in Deutschland aufbauen.

Willst du bis 2011 bleiben?

Klar, sogar länger, 10, 15 Jahre.

Merkst du Unterschiede zwischen den Fans?

Ich rede sogar mit meiner Frau darüber. In Brasilien sind die Fans immer laut, hier sind sie ruhig. Sie kommen, bitten um ein Autogramm, sagen danke und gehen. In Brasilien sind sie viel euphorischer, da kommen sie auf das Spielfeld. Ich habe auch meiner Frau gesagt, dass es solche Stadien wir hier, wo die Fans von den Spielern getrennt sind, in Brasilien nie geben würde! Die Fans würden nach jeder Fehlentscheidungen des Schiedsrichters auf das Spielfeld rennen. Auch da merkt man die Unterschiede und man muss sich anpassen. Gilberto hat das Gleiche erlebt und sich irgendwann angepasst. Es ist alles nur Anpassung, die Leute sollten es verstehen.

Nach der ganzen Kritik ist der Trainer immer noch nett zu dir und unterstützt dich noch?

Ja, er hilft mir sehr, aber es gibt klare Grenzen. Ich weiss nicht, ob er seine Grenze schon überschritten hat. Ich kann ihm nur danken für alles und es ihm mit einer guten Leistung, die Hertha helfen wird zu siegen, zurückgeben. In meinen ersten 3 Spielen, die wir gewonnen haben, habe auch ich zu dem Sieg beigetragen, obwohl ich kein Tor schoss. Dafür bin ich auch hier.


Und ist es dir wichtiger, Deine Mannschaft zum Sieg zu führen, als selbst Tore zu erzielen?

Natürlich ist es wichtig, selbst Tore zu schießen, aber insgesamt ist es die Hauptsache, mit einem Spiel drei Punkte zu erreichen. Ein erfolgreiches Tor ist das Ergebnis harter Arbeit. Leider hatte ich dazu bisher keine Chance.

Und wie ist es für deine Frau, hier zu sein, mit einem Kind und schwanger, ohne wirklich Unterstützung zu haben?

Es ist noch etwas anderes. Deswegen wollte ich mich auch beeilen, meine Wohnung noch diese Woche einzurichten, bevor die Spiele wieder anfangen. So kann ich mich nachher voll auf den Fussball konzentrieren. Aber es ist alles nicht so leicht hier und es gibt noch so viel zu tun. Erst gestern habe ich die Schlüssel für meine neue Wohnung bekommen.
Wir brauchen auch noch einen Arzt, der Spanisch spricht, um meine Frau während ihrer Schwangerschaft zu begleiten. Zudem müssen wir noch eine Kita für meine Tochter finden.

Und dazu kommt noch die öffentliche Kritik an Dir?

Ich habe versucht, die Journalisten, die nicht portugiesisch sprechen, in den letzten 2 Woche zu meiden. Sie können mich nicht richtig verstehen und dann will ich lieber kein Interview geben. Bevor sie etwas Falsches über mich schreiben ist es mir lieber, gar nicht zu sagen.
Die brasilianische Presse ist da aber noch viel schlimmer. Dort werden die Fans sogar von der Presse motiviert, mit den Spielern zu streiten. Aber dort verstehen die Journalisten zumindest, was ich sage. Hier kommt noch dazu, dass man die brasilianische Lebensart nicht versteht. Und wir müssen auch immer etwas anderes, besonderes zeigen. Ich habe aber keine Lust, jedem einzelnen das gleiche erzählen zu müssen.

Und was ist mit der brasilianischen Gemeinschaft in Berlin, hast du schon Kontakte gemacht?

Ich war bei der Botschaft wegen der Papiere für meine Tochter, beim Café Favela und im Restaurant Brasil Brasileiro.

Und wie schaffst Du den Ausgleich zu Deinen ganzen Schwierigkeiten?

Es gibt jetzt anderthalb Wochen ohne Spiel, nur um zu arbeiten und sich zu konzentrieren. In dieser Woche werde ich versuchen, mich wieder zu motivieren. Heute war ich ziemlich unmotiviert. Ich muss mir die ganzen Geschichten anhören. Leute rufen mich an, meine Eltern und Verwandten fragen was ist los...

Kriegt man das alles in Brasilien auch mit?

Ja, man kriegt alles mit! Alle machen Kommentare darüber und die brasilianische Presse unterstützt mich. Dann kommt einem alles noch merkwürdiger vor. Aber ich glaube sehr an Gott und hoffe ab dem nächsten Spiel meinen richtigen Fussball zeigen zu können. Die Leute brauchen nur ein bisschen Geduld.

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